Reziprozität – geben, nehmen und nochmals nehmen

Die Reziprozitätsregel besagt: Wenn uns jemand einen Gefallen tut, dann sollten wir ihm auch einen tun. Sind wir zu einer Party eingeladen, fühlen wir uns verpflichtet, diese Person ebenfalls einzuladen. Wie sich die Reziprozitätsregel erfolgreich im Verkauf einsetzen lässt, verrät Verkaufspsychologin Ulrike Knauer im folgenden Gastbeitrag.

  • Ulrike Knauer ist Diplom-Betriebswirtin, Rednerin und eine erfolgreiche Trainerin für den Verkauf. Abbildung: Ulrike Knauer
    Ulrike Knauer ist Diplom-Betriebswirtin, Rednerin und eine erfolgreiche Trainerin für den Verkauf. Abbildung: Ulrike Knauer

Die Verpflichtung zur Gegenseitigkeit gilt in allen Kulturen unseres Planeten. Sie ist universal, denn sie entspringt der menschlichen Psyche. Diese Regel ist die Grundlage für ein harmonisches Miteinander. Bereits unsere steinzeitlichen Vorfahren haben gelernt, dass die Dankesschuld eine Art Anpassung des Menschen ist. Man bekommt ein Gefühl, der anderen Person verpflichtet zu sein.

Unbewusst und tief verankert

Wenn wir Nahrung verschenken, wenn wir Energie in andere Menschen investieren oder wenn wir Zuwendung geben, dann tun wir das unterbewusst aus einem ziemlich egoistischen Grund heraus: Im Grunde genommen wollen wir uns nur dadurch besser fühlen und unser Ego aufpolieren. Zusätzlich wissen wir, dass wir immer etwas zurückbekommen. Und genau darum geht es bei Reziprozität.

Seien Sie mal ganz ehrlich: Wann haben Sie das letzte Mal etwas gegeben, ohne im Hinterkopf gewusst zu haben, dass es langfristig irgendeinen Vorteil bringen wird? Der Mensch gibt selten, nur weil er geben möchte. Stattdessen handelt er egoistisch, mit dem Wissen, dass der Andere sich revanchieren wird. Genau das passiert auch bei Reziprozität im Vertrieb. Es hat einen Grund warum es inzwischen so viele Compliance-Regelungen gibt und es den Verkäufern verboten wird, irgendwelche Geschenke mitzubringen. Der Einkäufer kommt nämlich bei Annahme leicht in einen Konflikt – da er normalerweise auch als Mensch etwas geben möchte.

Jeder von uns hat gelernt, sich an Regeln zu halten. Es entsteht in unseren Kulturen eine allgemeine Abneigung und Verachtung gegenüber denjenigen, die nur nehmen, aber nichts geben. Menschen handeln permanent danach, nicht wie jemand da zu stehen, der nur nimmt. Jemand, der nur nimmt, wird in unserer Gesellschaft verachtet. Keiner möchte Schmarotzer sein oder als geizig abgestempelt werden, denn diese Eigenschaften sind gesellschaftlich inakzeptabel und verachtenswert.

Ein Prinzip mit Wirkung

Kleine Geschenke sind extrem wirkungsvoll. Die Trinkgelder in Bars und Restaurants werden sich erhöhen, wenn Sie den Kunden vorher eine kleine Aufmerksamkeit schenken; so funktioniert die Preiserhöhung leichter. Die Produktprobe als Verkaufsinstrument ist weltberühmt und wird seit Jahrzehnten von Marketingprofis und Verkäufern benutzt, um dem Kunden sein Produkt nahe zu bringen und ihn mithilfe der Reziprozitätsregel zu beeinflussen. Am besten funktioniert diese Regel heutzutage im Online-Marketing: Besonders oft werden Flyer, Reports und Bücher, manchmal sogar Coachings angeboten.

Gratis – als Reziprozität

Perfektioniert wird das Ganze, wenn der Verkäufer ein kostenloses Coaching anbietet. Das hat normalerweise einen Wert von dreistelligen Summen. Nach dem kostenlosen Coaching bekommen Kunden sogar noch Geld zurück, weil man ihnen ihre wertvolle Zeit gestohlen hat. Oder Kunden erhalten gratis einen Kühlschrank mit Logo des Lieferanten: Das Logo ist nur Alibi, um das Prinzip der Reziprozität anwenden zu können. Auch beruflich wird nun einmal zu 90 Prozent emotional entschieden – und genau diese Emotionen werden dadurch beeinflusst.

„schuldig“ durch Reziprozität

Die Reziprozitätsregel hilft Ihnen dabei, den Menschen vor Ihnen unterbewusst in die Lage zu versetzen, sich schuldig zu fühlen und etwas zurückgeben zu wollen. Man muss nur vorher nett genug gewesen sein und dem Kunden eine kleine Aufmerksamkeit gegeben haben. Wie oft stehen Kunden an Imbissbuden oder anderen mobilen Fastfood-Ständen, um etwas gratis zu bekommen oder nur, um das Angebot einmal zu testen? Vielen Kunden fällt es dann schwer, das Angebot letztendlich doch abzuschlagen.

Effektivität der Reziprozität im Vertrieb

Die Regel ist sehr effektiv. Bereits mit kleinen Geschenken, Gesten, Aufmerksamkeiten oder Proben jeglicher Art kann der Mensch dazu genötigt werden, seine Schuldgefühle ausleben lassen zu müssen. Der Grund dafür ist, dass er nicht als Schmarotzer dastehen möchte. Genau deswegen gibt es inzwischen die Compliance-Richtlinien in Unternehmen, die inzwischen zum Teil sehr streng sind. Weihnachtsgeschenke, die ausschließlich auf Reziprozität abzielen, sind weit bekannt.

Ich kenne Unternehmen, die keine Weihnachtsgeschenke annehmen und auch nicht mit Lieferanten zum Essen gehen dürfen. Das kann sogar so weit gehen, dass ein Mitarbeiter bei einer Veranstaltung abends nicht zum Essen bleiben darf, wenn ein Lieferant oder Mitbewerber auch auf der Veranstaltung ist. Nachvollziehbar sind diese Compliance-Richtlinien schon, wenn man bedenkt, wie das Prinzip der Reziprozität schon missbraucht wurde.

Das Buch „Wahres Interesse verkauft“ der Verkaufspsychologin Ulrike Knauer veranschaulicht anhand einer fiktiven Geschichte, in der es um einen Verkäufer geht, wie der Vertrauensaufbau mittels Reziprozität im Verkauf funktioniert und wie der Verkäufer das wahre Interesse an seinem Kunden authentisch und echt transportieren kann. Entscheidend seien dabei neben der Wertebasis des Verkäufers, auch das Bewusstsein für den Umgang mit Macht.
Ulrike Knauer

Rednerin und Verkaufscoach

ulrikeknauer.com