Von der Paperworld zur Ambiente: Ein Doppelinterview mit der Messe Frankfurt

Im Februar hat die Messe Frankfurt das Aus der Paperworld als eigenständige Messe in Deutschland verkündet. Das wirft Fragen auf. Wir haben sie gestellt. Julia Uherek und Yvonne Engelmann von der Messe Frankfurt blicken für uns zurück und nach vorn. Sie erklären unter anderem, wie die Paperworld in die Ambiente überführt werden soll und warum dies am Ende sogar einen Zugewinn bedeuten kann.

Julia Uherek, Bereichsleiterin Consumer Goods Fairs und Yvonne Engelmann, Leiterin Ambiente Living, Giving, Working bei der Messe Frankfurt. Abbildung: Messe Frankfurt Exhibition GmbH
Julia Uherek, Bereichsleiterin Consumer Goods Fairs und Yvonne Engelmann, Leiterin Ambiente Living, Giving, Working bei der Messe Frankfurt. Abbildung: Messe Frankfurt Exhibition GmbH

OFFICE DEALZZ: Frau Uherek, Frau Engelmann, wie hat sich die Anzahl der Aussteller und Besucher der Paperworld in den letzten zehn bis 20 Jahren entwickelt? Wann hatte die Messe ihren Zenit erreicht?

Julia Uherek: Eine Messe ist immer ein Spiegel der Branche und entwickelt sich parallel zum Gesamtmarkt. Wichtige Einflussfaktoren wie die Digitalisierung, Globalisierung oder fortschreitende Konsolidierungen im Markt zeigen sich auch in den ähnlich wellenförmig verlaufenden Aussteller- und Besucherzahlen. Besonders die Konsumgütermärkte sind historisch starken Schwankungen unterlegen. Entscheidend für uns ist, unsere Messen zukunftsorientiert und den Marktbedürfnissen entsprechend aufzustellen. Dazu gehören auch mutige Schritte, um ganz neue Geschäftsperspektiven zu eröffnen. Dafür haben wir die Konsumgüterfachmessen komplett neu gedacht und bieten der PBS-Branche unter dem Motto Home of Consumer Goods vom 3. bis 7. Februar 2023 ein neues Zuhause.

Wie haben sich die Themen Bürobedarf, Remanexpo, Schule und Basteln über die Jahre entwickelt?

Julia Uherek: Ebenso wie sich bei Herstellern das Produktportfolio entwickelt oder wie der Handel sich neu erfindet, so verändert sich auch die Messe. Dies trifft auf Leitmessen insbesondere zu. Dabei achten wir darauf, durch eine Neusortierung der Produkte neue Zielgruppen zu aktivieren und Geschäftskontakte zu fördern. So wurde durch das Herauslösen der Creativeworld aus der Paperworld der Bereich Basteln und kreatives Gestalten enorm gestärkt. Die Fachmesse hat sich zu der erfolgreichsten Plattform für den Hobby-, Bastel- und Künstlerbedarf insgesamt entwickelt. Der Produktbereich Remanexpo hatte innerhalb der Paperworld eine ideale Heimat gefunden und sich parallel zur Branche weiterentwickelt. Um die Themen Bürobedarf und Schule sowie die Positionierung der Produktgruppen zu stärken, haben wir zur Paperworld 2017 die Bereiche Office und Stationery gezielt herausgearbeitet. So konnten wir in beiden Bereichen neue Schwerpunkte setzen und das Thema modernes Büro voranbringen. Kurz gesagt: Wir spiegeln nicht nur Angebot und Nachfrage, wir liefern auch aktiv Impulse, um den Markt als Ganzes nach vorne zu bringen.

Zeigte die Vision vom papierlosen Büro Auswirkungen auf das Interesse an einer „Paperworld“?

Julia Uherek: Die Digitalisierung ist einer der größten Game-Changer aller Zeiten. Und sie hat in den letzten 25 Jahren zahlreiche Verhaltensweisen, Lebensbereiche und ganze Industriezweige grundlegend verändert. Auch auf die Büroarbeit wirkt Digitalisierung in starkem Maße. Von der Büroplanung über die Einrichtung bis zum Arbeitsmittel und Verbrauchsmaterial: Heute wird in Büros ganz anders gearbeitet als noch vor 30 Jahren. Und das macht es für die Branche so spannend und gleichzeitig herausfordernd, bringt Innovationen hervor, schafft neue Produktwelten und Nutzungsszenarien. Unsere Aufgabe ist es, diese neuen Entwicklungen mit traditionellen Produktbereichen und Branchenteilnehmern zu verbinden, neue Geschäftsmöglichkeiten zu schaffen und neue Kontakte zu ermöglichen.

War die Entscheidung zur Auflösung der Paperworld rein coronabedingt oder war diese bereits zuvor defizitär?

Julia Uherek: Weder noch. Wie gesagt, Messen haben viele Funktionen. Die wichtigsten sind aus meiner Sicht, Fortschritt und Innovation aufzuzeigen sowie Angebot und Nachfrage zusammenzuführen – und zwar auf eine für alle Beteiligten spannende und gewinnbringende Art und Weise. Und genau davon haben wir uns bei unserer Entscheidung leiten lassen. Wie können wir für die PBS-Branche neue, attraktive und zukunftsorientierte Bedeutungszusammenhänge schaffen, um einerseits den Ausstellern neue Kundenkontakte zu ermöglichen und andererseits den Besuchern neue, spannende Produktbereiche zu präsentieren. Stagnation schafft keine neuen Geschäftsimpulse. Aber genau das ist unser Anspruch: durch die Überführung der Paperworld in den Produktbereich Ambiente Working neue Impulse zu schaffen. Und das für alle Branchenteilnehmer, den gewerblichen Bürobedarf, die designorientierte Büroausstattung sowie den Produktbereich Remanexpo.

Wurden bei der Paperworld vielleicht auch messeseitig Fehler gemacht (Stichwort Preise)?

Julia Uherek: Niemand, der Entscheidungen trifft, und noch dazu mutige, ist fehlerfrei. Aber das ist in Bezug auf unser neues Konzept 2023 überhaupt nicht die Frage. Es geht doch vielmehr darum, welche Chancen sich durch den enormen Strukturwandel ergeben, der auf die PBS-Branche und ihre Marktplätze wirkt. Wir haben immer schon die Gegebenheiten und Bedürfnisse der Branche beobachtet, analysiert und daraus abgeleitet unser Angebot angepasst, in unsere Messen investiert. Dass das mit dem neuen Konzept deutlich revolutionärer ist als in der Vergangenheit, das ist korrekt. Und ich bin überzeugt: Es bringt neue Vorteile für die Branche.

Wie beurteilen Sie die Situation der PBS-Hersteller und -Händler? Die Markenhersteller haben 2020 schon ihren Office Gold Club aufgelöst und viele orientieren sich längst weg vom Thema Bürobedarf. Der Handel hat mit Pandemie und Onlinekonkurrenz zu kämpfen. Nun ist beiden die Weltleitmesse verloren gegangen.

Julia Uherek: Es geht hier nicht um Verlust, sondern um Zugewinn. Die PBS-Branche hatte und hat ihre Heimat in Frankfurt. Und ab 2023 mit noch viel mehr neuen Möglichkeiten zur Kundengewinnung und Sortimentszusammenstellung. Wir haben outside the box gedacht und bekommen dafür von den Herstellern, dem Handel und unseren Kunden für diesen Schritt viel Zustimmung. Sie erkennen die vielfältigen Möglichkeiten, die sich aus einer neuen Produktzusammenstellung ergeben. Denn der Markt ist derzeit unter Druck, sei es durch die Digitalisierung, die Flexibilisierung der Arbeitswelt oder das Verschmelzen der Welten Arbeit und Freizeit. Auch in der Beschaffung der Produkte ist viel Bewegung und Veränderung. Diesen Strukturwandel greifen wir aktiv auf, um Herstellern und Händlern neue Möglichkeiten aufzuzeigen. Wir schaffen Angebote für neue Zielgruppen und bieten so allen Teilnehmenden einen echten Mehrwert durch neue Geschäftsimpulse, Synergien und Inspirationen. Somit unterstützen und begleiten wir die weltweite Branche in ihrer Weiterentwicklung – und das über drei Messeformate: der Weltleitmesse Ambiente und den führenden Branchenformaten Christmasworld und Creativeworld – als One-Stop-Shop zur gleichen Zeit an einem Ort.

Warum konnte die Paperworld 2021 und 2022 nicht alternativ online stattfinden?

Julia Uherek: Uns ist es natürlich sehr schwer gefallen, die Paperworld 2021 und erneut 2022 abzusagen. 2021 konnten wir mit dem Digital Day viele Aussteller und Besucher erreichen. 2022 haben wir lange auf eine physische Messe hingearbeitet. Nach der Absage rund vier Wochen vor der Veranstaltung war die Organisation eines rein digitalen Events einfach zu kurzfristig. Dennoch haben wir digitale Lösungen entwickelt, um unsere physischen Messen zielgerichtet zu ergänzen. Wir bieten digitale Angebote, wie die ganzjährig verfügbare Aussteller- und Produktsuche, die Digital Extension als Verlängerung der physischen Messe, Conzoom Solutions und Nextrade, die der Branche Inspiration, Beratung und Order ermöglichen. Darüber hinaus etablieren wir gerade die Digital Academy im Rahmen unserer Future of Work Academy. Die physische Begegnung ist weiterhin Kern unseres Angebots, und wir ergänzen dies an sinnvollen Stellen mit digitalen Angeboten. Eine Fachmesse lebt vom direkten Austausch und dem Erleben der Produkte vor Ort.

Wie sollen die einstigen Paperworld-Bestandteile konkret in die Ambiente überführt werden? Es scheint nicht viel Fläche dafür vorgesehen – Ambiente Working soll (Stand April) inklusive Remanexpo und Vortragsareal ausschließlich in Halle 4.2 stattfinden.

Yvonne Engelmann: 2023 wird der Angebotsbereich Ambiente Living mit Contract Business um das Themenfeld Future of Work nun in der Halle 3.1 erweitert. Hier treffen Büroausstatter, Innenarchitekten, Projektentwickler, Facility-Manager oder Groß- und Einzelhändler auf Anbieter für Büroeinrichtung, Sonderpräsentationen und spannende Vortragsreihen, mit denen die Zukunft der Büroarbeit gestaltet, erklärt und erlebbar gemacht wird. In der Halle 4.2 ist der Produktbereich Office für Produkte rund um Bürobedarf, -ausstattung und -technik zu finden. Der Produktbereich Remanexpo mit wiederaufbereitetem Druckerzubehör findet in Halle 6.2 seine neue Heimat. Einkäufer, die Schreibwaren, Blöcke, Kalender der Stationery-Lebens- und Produktwelten suchen, sind im Giving-Bereich der Ambiente perfekt aufgehoben. Das Thema Schule ist mit dem Thema Schenken und Geschenk ebenfalls eng verbunden. Daher integrieren wir diese Produktgruppen in den Bereich Ambiente Giving. Das heißt, der Stationery-Bereich der Paperworld findet weitgehend seine neue Heimat bei Ambiente Giving in der Creativeworld (Schreib- und Zeichengeräten) und in der Christmasworld (mit Bändern und Verpackungen). Der Office-Bereich sowie Remanexpo-Aussteller finden sich im neuen Bereich Ambiente Working wieder, wo sich alles um die Arbeitswelt von morgen dreht. Natürlich möchten wir Ambiente Working in den nächsten Jahren weiterentwickeln, jetzt geht es erst einmal darum, den Bereich innerhalb der Ambiente stark zu positionieren. In den letzten Wochen gab es einen enormen Vertrauensvorschuss aus der Branche, der zu einer großen Nachfrage nach Flächen geführt hat. Daraufhin haben wir die Ambiente noch einmal optimiert.

Mit Dining (Tisch, Küche und Haushalt), Living (Wohnen, Dekorieren) und Giving (Geschenkartikel) richtet sich die Ambiente letztlich an private Endkunden. Mit dem neuen Bereich Working kommen nun die Geschäftskunden hinzu und damit zum Privaten die Arbeit, zum B2C- das B2B-Geschäft. Warum ist das so eine gute Idee?

Yvonne Engelmann: Die Ambiente richtet sich schon immer ganz klar an B2B-Geschäftskunden, also gewerbliche Abnehmer, den Facheinzel- oder Großhandel. Besonders interessant für die Ambiente-Working-Kunden sind die bereits etablierten und weiter wachsenden Bereiche HoReCa und Contract Business der Ambiente. Schon immer gehörten Produkte für die Büroausstattung und den Schreibtisch zu den Lifestyle-Kollektionen der Ambiente-Aussteller dazu. Das heißt, hier gibt es spannende Synergiepotenziale – für Aussteller und Besucher. Deshalb ist es ein wichtiger Schritt, diesen Bereich innerhalb der Ambiente zu etablieren und sukzessive auszubauen. Der gesellschaftliche Wandel führt zu starken Veränderungen in der PBS-Branche, was die Produktportfolios der Hersteller betrifft oder die veränderten Absatzkanäle und Zielgruppen. Diese erhalten einen klaren Fokus und ihr neues Business-Zuhause im neuen Kontext – inklusive der Konzept- und Warenpräsentationen sowie hochkarätigen Vortragsreihen.

Wo sehen Sie sich mit der erweiterten Ambiente im Wettbewerb mit Insights-X und Orgatec?

Yvonne Engelmann: Jede Veranstaltung, auch regionale Veranstaltungen, die am Markt reüssieren, haben ihre Berechtigung und Bedeutung. Als Weltleitmesse erreichen wir durch die erweiterten Produktsynergien und Einkäuferzielgruppen noch mehr internationale Bedeutung, was sich auch in der medialen Resonanz weltweit niederschlägt. Wir belegen durch die Parallelität von Ambiente, Christmasworld und Creativeworld das gesamte Messegelände in Frankfurt und bilden ein Produktspektrum ab, das es in dieser Tiefe und Breite noch nie und auch nirgendwo sonst gab und gibt. Daher bieten wir einen noch umfassenderen Mehrwert für unsere Aussteller und Besucher.

Mit wie vielen traditionellen Paperworld-Ausstellern rechnen Sie noch für die Ambiente 2023?

Yvonne Engelmann: Zum jetzigen Zeitpunkt spielen Zahlen gar keine Rolle. Besonders im Umfeld von Ambiente Working sind wir sehr stark mit Ausstellern im Kontakt, erklären das neue Konzept und suchen nach den jeweils besten Möglichkeiten zur Unternehmens- und Produktpräsentation. Da alle Aussteller der Ambiente, Christmasworld und Creativeworld in neue Hallen umziehen, es neue Produktzusammenstellungen und veränderte Rahmenbedingungen gibt, erweitern wir auch unseren Zeitplan, um auf individuelle Wünsche eingehen und ausreichend Beratung geben zu können. In den kommenden Wochen können wir jedoch sicherlich die ersten Key-Player bekannt geben. Seien Sie gespannt.

Vielen Dank.

Die Fragen stellte Robert Nehring.