Wir haben Unternehmen, Fachhändler und Verbände gefragt, wie sie die aktuelle Situation des Bürofachhandels beurteilen. Verraten haben sie uns auch, worin sie die größten Herausforderungen und Chancen für den Handel sehen.
Michael Ruhnau, Präsident Handelsverband Büro und Schreibkultur (HBS)
„2021 war ein herausforderndes Jahr für den Fachhandel, dessen Nachwirkungen, befeuert durch die Ukraine-Krise, sich sicherlich auf das aktuelle Jahr auswirken werden. Das Segment PBS kann von der Entwicklung zu mehr Wertschätzung des privaten Arbeitens nicht profitieren. Im Gegenteil: Der hohe Anteil des Arbeitens im Homeoffice und die Digitalisierung der Arbeit führen zu gewaltigen Veränderungen sowohl hinsichtlich der Warenkörbe als auch der Beschaffungswege und somit zum Teil zu erheblichen Umsatzrückgängen.
Die Auswahl von Produkten aus den Bereichen Computer, Drucker sowie Schul- und Bürobedarf vor Ort in einem Fachgeschäft mit der kompetenten Beratung zeichnet uns aus. Die Profilschärfung unserer stationären Geschäfte, gerade in den Innenstädten, das Verquirlen von Lifestyle- und Arbeitswelten sowie die Verzahnung der On- und Offlinewelt sind Herausforderung und Chance zugleich. Diese Bewertung wird aktuell jedoch völlig überlagert von den Ängsten und Sorgen, die die Menschen durch den Krieg in der Ukraine umtreiben. Welche konkreten Auswirkungen durch die veränderten Liefersituationen, Energiekosten und Versorgungsengpässe auf den Handel zukommen werden? Das ist nicht absehbar.“
Volker Jungeblut, Geschäftsführer Verband der PBS-Markenindustrie im FMI e.V.
„Die Zeiten für den Bürofachhandel sind alles andere als rosig. Allerdings müssen wir die einzelnen Vertriebsausrichtungen separat betrachten. Der stationäre Facheinzelhandel ist durch die verordneten zeitweiligen Schließungen sicher am schwersten betroffen und wird sich aller Unterstützungsmaßnahmen zum Trotz nur langsam erholen. Die finanziellen Mittel sind schlicht und einfach nicht mehr da. Innenstadtlagen sind in unserer Branche mit dem reinen PBS-Sortiment nicht mehr finanzierbar. Daraus ergibt sich, dass Produkte und Dienstleistungen (beispielsweise aus dem Home-/Deko- und Lifestyle-Bereich) aufgenommen werden müssen, die es ermöglichen, Verbraucher wieder in den Laden zu locken.
Die Entwicklung der letzten beiden Jahre hat dazu geführt, dass auch der B2B-Handel verstärkt Rückgänge zu verzeichnen hatte, unter anderem verursacht durch die Änderungen auf Homeoffice. Dieser Trend wird nicht umkehrbar sein. Die Erkenntnisse, welche Vorteile sich durch den Einsatz von Homeoffice und weiteren New-Work-Konzepten wie Clean- und Shared-Desk ergeben, sind gefestigt. Dadurch ergibt sich eine Dynamik, die sich nicht nur bei Neueinrichtungen von Büros zeigt, sondern auch bestehende Strukturen nachhaltig verändern wird.“
Kai-Uwe Heuer, Vorstand Finanzen, Logistik und IT Büroring eG
„Die Lage des Bürofachhandels ist (fast so) uneinheitlich, wie ihre Teilnehmenden verschieden sind. Generell ist die Lage aber gekennzeichnet durch hohen Marktdruck, ausgelöst von Änderungen bei Bedarfen und Nachfrageverhalten, neuen Wettbewerbern und Vertriebsformen, technischen Entwicklungen und den Auswirkungen der Coronapandemie. Die Mehrzahl der privaten mittelständischen Händler behauptet sich aber sehr erfolgreich dank ihres Know-hows, Engagements, ihrer Kundennähe und Flexibilität. Wir stellen für unsere Mitglieder fest: Erfolg setzt nicht zwingend Größe voraus.
Zwei Trends prägen die Entwicklung unseres Kernarbeitsfeldes und Marktes ‚Büro‘: Arbeitswelten werden zunehmend als Lebenswelten begriffen. Und: Die Arbeitswelt wird digital und mobil. Dadurch steigen Ansprüche in funktionaler wie optischer, in technischer wie gestalterischer Sicht erheblich. Die sich ergebenden Bedarfe und Möglichkeiten bieten riesige Chancen. Doch zum Erfolg braucht man die Fähigkeit, diese Bedarfe und Möglichkeiten frühzeitig zu erkennen und sie zusammenzubringen. Hierin liegt – allgemein gesprochen – die zentrale Herausforderung. Ergo: Die Frage, ob Herausforderung oder Chance, ist manchmal nur eine Frage der Perspektive.“
Rolf Schifferens, Geschäftsführer Durable
„Die Arbeitswelt wandelt sich gerade grundlegend. Es gibt nicht mehr nur den einen Arbeitsort. Ein permanenter Wechsel zwischen Büro und Homeoffice wird zum Regelfall. Damit verändern sich auch die Bedürfnisse und Anforderungen. Zu Hause wird nicht nur gewohnt, sondern auch gearbeitet. In Unternehmen findet weniger Schreibtischtätigkeit, dafür mehr Austausch und agiles Arbeiten statt.
Eine große Herausforderung für den Handel: Die Nachfrage nach klassischen Büroprodukten wird weiter sinken. Aber in der Veränderung liegt auch eine große Chance. Durable hat daher schon vor einigen Jahren eine umfassende New-Work-Initiative gestartet – mit Lösungen und Innovationen für hybride, interaktive Arbeitsformen und passend gestaltete Arbeitsplätze. Damit wollen wir als Hersteller den Bürofachhandel dabei unterstützen, sich zukunftsgerichtet aufzustellen und neue Absatzbereiche zu erschließen.“
Nadine Laule, Managing Partner Futureoffice
„Wir beobachten aktuell eine starke Zunahme von Projekten, die sich mit der Rückkehr zu einem New Normal beschäftigen. Die neue Zusammenarbeit, die (nicht nur) durch die Pandemie entsteht, braucht neue Räume. Wir können uns auch durch unser Know-how in Beratung und Planung gut differenzieren und planen mit Wachstum. Deshalb erscheint uns eine Erholung der Branche mindestens auf das Niveau von 2019 realistisch. Herausforderungen sind für uns nach wie vor Materialverfügbarkeit und das Thema Logistik.
Es besteht hoher Bedarf an passenderen Büros. Durch Homeoffice und Hybrid Work konkurriert das Office plötzlich mit anderen Arbeitsorten und muss so nützlich, funktional und angenehm sein, dass man gerne kommt. Ein gut gestalteter Raum wirkt wie ein Katalysator. Er kann neue Flächen bieten für Kollaboration und informelle Treffen und natürlich auch für konzentrierten Rückzug. Dadurch kann er diese neue Zusammenarbeit beflügeln und möglich machen. Diese Entwicklung ist eine große Chance für den Fachhandel.“
Dietmar Nick, Geschäftsführer Kyocera Document Solutions Deutschland
„Der Bürofachhandel hat zwei herausfordernde Jahre hinter sich, deren Auswirkungen ihn und genauso uns Hersteller auch in den kommenden Jahren noch beschäftigen werden. Dennoch ist der Fachhandel jetzt in einer hervorragenden Position, um Unternehmen den Weg zu weisen und den Arbeitsplatz der Zukunft mitzugestalten. Viele Unternehmen sehen das Büro heute mit ganz anderen Augen als noch vor wenigen Jahren und wollen neue Akzente setzen. Hinzu kommt das Homeoffice, in dem zunächst viel improvisiert wurde. Doch auch nach dem Auslaufen der Homeoffice-Pflicht will die große Mehrheit der Büroangestellten weiterhin mobil arbeiten können.
Dort liegt eine große Chance für den Bürofachhandel, denn der Arbeitsplatz daheim hat besondere Anforderungen. Dort muss nicht nur produktiv gearbeitet, sondern auch auf alle Informationen zugegriffen werden können, die dafür notwendig sind. Das ist für viele Unternehmen eine große Baustelle, bei der sie die Unterstützung des Fachhandels brauchen.“
Samir Ayoub, Geschäftsführender Gesellschafter Designfunktion Gruppe
„Aktuell ist der Büromarkt vielen Veränderungen ausgesetzt, die alle Akteure vor neue Herausforderungen stellen. New Work, Nachhaltigkeit und Digitalisierung zählen zu den Treibern und Trends. Die Auswirkungen der Pandemie erleben wir als Beschleuniger für eine effizientere Flächennutzung und veränderte Anforderungen an die Büro- und Arbeitswelten. Selbst wenn die Jahresumsätze mit Büroeinrichtung 2020 und 2021 deutlich unter dem Stand von vor Coronazeiten lagen, wird sich der Büromöbelmarkt in Deutschland wieder zu einem reifen Markt mit Wachstumschancen entwickeln. Die Bedeutung des Büros als Ort der Kommunikation, der kreativen Zusammenarbeit und der Begegnung steigt. Als Designfunktion treiben wir diesen Wandel aktiv voran.
Zu den größten Herausforderungen zählt die digitale Normalität. Aus der Notwendigkeit heraus etablierten Unternehmen eine völlig neue Form des intelligenten Arbeitens, welche die sinnvolle Verknüpfung von Remote- und Office-Arbeit voraussetzt. Hauptaufgabe aller Akteure auf dem Markt ist, Antworten auf die Digitalisierung zu finden, die neue Chancen, aber auch Risiken eröffnet. Hybrid Work intelligent zu gestalten gilt als Core-Business von Designfunktion.“
Klaus Schalk, Geschäftsführer Kinnarps
„Der Fachhandel ist im Aufwind, er profitiert von einer erhöhten Nachfrage nach ganzheitlichen Einrichtungen. Darüber hinaus hat die Coronakrise einen großen Bedarf an Homeoffice-Lösungen, vor allem bei Stühlen, ausgelöst. Diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen, denn das Homeoffice wird sich etablieren. Entscheidend ist aber der Weg zu lösungsorientierten Konzeptansätzen. Wer hier eine kompetente Beratung zu neuen Arbeitswelten und New Work bieten kann und dabei professionell, auch digital, aufgestellt ist, wird gewinnen. Umsätze mit reinen Produktverkäufen wird es immer weniger geben.
Zu den größten Herausforderungen gehören zurzeit die Kostenexplosion der Rohstoffe, Energiekosten eingeschlossen. Unwägbarkeiten gibt es auch bei den Logistikkosten. Als Folge dieser Entwicklung sind Leistungen nur noch bedingt kalkulierbar. Hinzu kommt, dass es nach wie vor sehr schwer ist, qualifiziertes Personal zu finden. Kunden suchen Service Provider. Daher sehe ich eine der größten Chancen darin, hier Kompetenzen auszubauen, unter anderem in der Beratung. Dabei sollte man sich auf Lieferanten fokussieren, die ihr Know-how teilen wollen und ganzheitlich unterstützen können.”
Peter Sperl, Geschäftsführer Avery Zweckform
„Die Situation im PBS-Handel bleibt schwierig, ist je nach Vertriebskanal aber unterschiedlich einzuschätzen. Der Distanzhandel zeigt sich insgesamt resilienter und insbesondere E-Commerce-Anbieter gewinnen stetig Marktanteile im Verdrängungswettbewerb. Verbraucher schätzen die Convenience, Sicherheit und Geschwindigkeit in diesem Bereich. Das traditionelle PBS-Laden- und -Streckengeschäft ist nach unseren Erkenntnissen weiterhin erheblich von der Krise betroffen und muss Mittel und Wege finden, sich auf Dauer zu behaupten. Absatzseitig entstehen für Industrie und Handel neue Risiken mit dem Krieg in der Ukraine.
Nach zwei Corona-Krisenjahren dürfte für Händler das Thema Unternehmensfinanzierung eine große Rolle spielen, insbesondere da auch staatliche Unterstützungsprogramme auslaufen. Zudem gilt es, in der Krise abgewanderte Verbraucher zurückzugewinnen und sich auf die Anforderungen einer veränderten Arbeitswelt rasch einzustellen. Stichworte: Digitalisierung und hybride Arbeitswelten.“