Das Lieferkettengesetz zwingt zurzeit viele Unternehmen, sich systematisch mit ihren Lieferketten und ihrem Lieferantenmanagement zu befassen. Der Wirtschaftsinformatiker Lukas Leist erklärt, warum darin auch eine Chance ruht.
Zum Jahreswechsel tritt das Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz, kurz Lieferkettengesetz, in Kraft – offiziell zunächst nur für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigte. Indirekt sind aber allein in Deutschland Zehntausende von kleinen und mittleren Unternehmen betroffen. So zum Beispiel die Zulieferer und Logistikdienstleister der großen Unternehmen, aber auch Handwerksbetriebe, die an größeren Projekten von ihnen mitarbeiten.
Sie alle werden, prognostiziert Dr. Jens-Uwe Meyer, Vorstandsvorsitzender der Leipziger Innolytics AG, im Laufe des nächsten Jahres Nachrichten von ihren Kunden erhalten und Fragen beantworten müssen, so zum Beispiel:
- Wie kontrollieren Sie die Arbeitsbedingungen?
- Wie sehr beachten Sie die Umweltschutz-Belange?
- Was wissen Sie über Ihre Lieferanten, Dienstleister und Subunternehmer?
Tiefgreifender Wandel
Für die meisten Empfänger wird dies im ersten Schritt primär ein bürokratisches Ärgernis sein. Doch dahinter steckt nach Auffassung von Christian Herlan, Vertriebsberater bei der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner aus Bruchsal, mehr. Das Lieferkettengesetz steht für ihn stellvertretend für „einen tiefgreifenden Wandel in der Wirtschaft. Weg von Profiten um jeden Preis, hin zu einem nachhaltigen, verantwortungsvollen Wirtschaften“. Unternehmen, die diesen Trend als Wettbewerbsvorteil nutzen wollen, bietet eine „systematische Beschäftigung mit ihren Lieferketten“ bzw. dem Lieferkettengesetz „die Chance, sich bei ihren Zielkunden als zuverlässiger, nachhaltig wirtschaftender Partner zu profilieren“ – gerade jetzt, „in einer Situation, in der viele Unternehmen im Gefolge der Coronapandemie und des Ukraine-Krieges erkannt haben, wie wichtig stabile Lieferketten und zuverlässige Lieferanten für den Unternehmenserfolg sind“.
Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung
Hinzu kommt: Die Konsumenten bzw. Kunden achten heute stärker als vor zehn Jahren darauf, wie Produkte hergestellt und Dienstleistungen erbracht werden. Das Mantra der 2010er-Jahre „Hauptsache billig und verfügbar und zwar schnell“ gilt zwar immer noch, doch zwei weitere Faktoren kamen hinzu: „Hauptsache fair“ und „Hauptsache nachhaltig“ bzw. „umwelt- und klimaschonend“. Entsprechend boomen zurzeit Produkte wie Hafermilch und Sojaschnitzel sowie Holzhäuser und Elektro-Autos.
„Was vor zehn Jahren noch eine Nische war, ist heute ein breites Kundenbedürfnis“, erklärt Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) in Frankfurt, die vor ihrer Beratertätigkeit unter anderem im Marketing der Konzerne Christian Dior und L´Oreal arbeitete. „Es gibt eine neue Konsumentenschicht, die in Fachkreisen ironisch ‚Generation Hafermilch‘ genannt wird“. Diese „Generation“ besteht vor allem, aber nicht nur aus Menschen zwischen 18 und 30 Jahren, die in den Metropolregionen leben. Sie stellt an die Unternehmen Fragen, die für jene der „alten Schule“ oft merkwürdig klingen: Lässt sich die Betonwand auch durch eine Wand aus nachhaltig produziertem Holz ersetzen? Ist Palmöl im Produkt – und wenn ja, wo kommt es her? Bezahlt das Unternehmen auch faire Löhne an seine Mitarbeitenden und Entgelte an seine Zulieferer weltweit?
Das Preis-Leistungsverhältnis wird laut Liebermeister immer mehr zu einem Preis-Leistungs-Fairness-und-Nachhaltigkeitsverhältnis. Diese Entwicklung spiegelt sich im Lieferkettengesetz wider. „Wir empfehlen deshalb unseren Kunden, die Sichtweise zu wechseln“, erklärt Dr. Jens-Uwe Meyer, dessen Unternehmen Innolytics unter anderem Software zum Umsetzen der Anforderungen des Gesetzes entwickelt: „Nicht das Lieferkettengesetz widerwillig erfüllen, weil man es muss, sondern dies als Chance begreifen, um sich als verantwortungsvolles, nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen im Markt zu profilieren.“
Aus der Pflicht eine Kür machen
Wie aber kann man als Unternehmen diese Chance nutzen? Hierfür gibt es drei Wege.
Weg 1: Unternehmen können sich nach Normen wie ISO 14001 (Umweltschutzmanagement) oder ISO 45001 (Arbeitsschutz) zertifizieren lassen, um zu zeigen, dass sie zumindest Teile der Auflagen des Lieferkettengesetzes erfüllen.
- Der Vorteil: Nimmt man die Dienste namhafter Zertifizierer wie des TÜV oder der Dekra in Anspruch, kann man sich mit deren Siegel schmücken.
- Der Nachteil: Selbst für kleine und mittlere Unternehmen werden schnell Investitionen im vier- bis fünfstelligen Bereich fällig.
Weg 2: Einen Nachhaltigkeitsbericht nach den Vorgaben des deutschen Nachhaltigkeitscodex (DNK) veröffentlichen.
- Der Vorteil: Die Dienste des DNK in Anspruch zu nehmen ist deutlich preisgünstiger: nämlich kostenlos. Der deutsche Nachhaltigkeitskodex geht auf eine Initiative der Bundesregierung zurück.
- Der Nachteil: Die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts nach den Anforderungen ist zeit- und ressourcenaufwendig. Und weil außerhalb von Deutschland niemand das Siegel kennt, hat es sich bislang nicht in großem Stil durchgesetzt.
Weg 3: Sich von Anbietern wie EcoVadis oder der Innolytics AG auf Basis einer Selbstauskunft ein Compliance-Profil erstellen lassen, also eine fundierte Angabe darüber, welche Anforderungen man erfüllt oder nicht. „Solche publizierten Selbstauskünfte“, erklärt der Innolytics-Vorstandsvorsitzende Meyer, „sind zwar zunächst nur Versprechen der Unternehmen, diese kann aber aufgrund ihrer Veröffentlichung jeder einsehen, kritisch hinterfragen und kontrollieren. Deshalb haben sie eine starke Wirkung.“
Diese sogenannte „Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit“ ist ein zentrales Prinzip von Normen wie ISO 26000, die Grundsätze für verantwortungsvolle Unternehmen aufstellt. Die Innolytics AG bildet diese Norm, die auch Bestandteil des Lieferkettengesetzes ist, in seiner Software ab; EcoVadis hingegen hat eigene Standards. Vom Aufwand her ist das Innolytics-Tool das einfachste: Das Unternehmen füllt einen Fragebogen aus. Danach erhält es eine Sofortauswertung und kann das entsprechende Siegel unmittelbar in seine Webseite einbinden. Das Verfahren von EcoVadis ist zeitaufwendiger, unter anderem, weil bei ihm Dokumente hochgeladen werden müssen, die geprüft werden.
Sich ernsthaft mit den Lieferketten befassen
„Unternehmen müssen letztlich selbst entscheiden, welchen Ansatz sie verfolgen“, betont Vertriebsberater Herlan – „und zwar abhängig davon, in welchem Markt sie aktiv sind, wer ihre Zielkunden sind und wofür sie den Nachweis brauchen“. Wichtig ist aber, dass sie gegenüber ihren Kunden belegen können, dass sie sich mit solchen Themen wie Nachhaltigkeit und ‚Social responsibility‘, also soziale Verantwortung, auch bei der Auswahl ihrer Lieferanten ernsthaft befassen. Denn daraus werden sich künftig immer größere Wettbewerbsvorteile ergeben.“
Lukas Leist,
Wirtschaftsinformatiker, Journalist für Management-Themen. |