Corona und die Folgen: Wohin geht die Reise?

Die Folgen der Corona-Krise für die Arbeitswelt lassen sich nur schwer abschätzen. Sandra Jung, Geschäftsführerin des Fachhändlers Büro Jung in Mainz, hat sich mit der aktuellen Situation auseinandergesetzt und erklärt, worauf es nach der Pandemie ankommen wird. Ein Kommentar.

Sandra Jung
Sandra Jung, Geschäftsführerin bei Büro Jung in Mainz, zu den Herausforderungen und Folgen der Corona-Pandemie. Abbildung: Alexander Sell

Mindestabstände und Kurzarbeit bis zum Jahresende in den Unternehmen. Nun wird zudem die Mehrwertsteuer bis zum Jahresende gekürzt, was eine Kaufentscheidung von Kunden erleichtern soll. Es werden bereits Stimmen laut, dass dies der falsche Ansatz sei, denn der zu erbringende Aufwand ist weitaus größer als der erhoffte Ertrag. Der Mehraufwand erzeugt unnötige Kosten innerhalb der Unternehmen – und das gleich doppelt, denn zum Ende des Jahres geht alles wieder den gleichen Weg zurück.

Zweifel an der Maßnahme

Die Wirtschaft liegt derzeit am Boden. Sieht man sich dazu die Zahlen der durch die Pandemie entstandenen Kurzarbeiter und Arbeitslosen an, stellt sich die Frage, ob eine Mehrwertsteuersenkung, wenn auch nur temporär, an den richtigen Stellen greift. Wird hier wirklich eine Kaufentscheidung beeinflusst? Der allgemeine Handel ist weiterhin auf dem absteigenden Ast. Lassen Sie uns die Situation noch einmal im Herbst oder Spätherbst beleuchten, wenn weitere Handelsunternehmen das Insolvenzverfahren beantragt haben. Die Folgen liegen auf der Hand – steigende Arbeitslosenzahlen. Dann wird auch eine Mehrwertsteuersenkung ganz gewiss nicht Kaufentscheidungen beeinflussen können.

Für Konsumenten und Verbraucher wird, mit Ausnahme der Lebensmittelbranche, kein wirklicher Anreiz geliefert. Man kann sich aus der Ferne nur die Preisschlachten der Konzerne und Discounterketten ansehen und das eigene Kaufverhalten daran anpassen. Mich persönlich animiert also die Senkung der Mehrwertsteuer nicht. Im Gegenteil: Als Geschäftsfrau hat es mich Zeit und Geld gekostet. Was gleichzeitig bedeutet, dass innerhalb des Unternehmens weitere Einsparungen greifen müssen. Sie sehen also: Die Katze beißt sich in den Schwanz.

Aufschiebung des Unausweichlichen

Schon unsere Eltern haben uns eine Weisheit in die Wiege gelegt: „Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not“. Und genau so denken die meisten Deutschen. Sie fragen sich, ob das Ende der Fahnenstange nun erreicht ist. Deswegen sparen sie nun in der Zeit. Eine eventuell bevorstehende zweite Welle der Pandemie wird die Konjunktur noch weiter in die Knie zwingen. Bei 60-prozentiger Kurzarbeit heißt es, den Gürtel noch enger zu schnallen und weiteres Einsparpotenzial zu entdecken. Berücksichtigt man, dass sich bereits im Mai dieses Jahres rund 170.000 Menschen arbeitslos gemeldet haben, und zieht man das unausweichlich Kommende in Betracht, wird man feststellen, dass durch die Verbraucherüberschuldung die Anzahl der Verbraucherinsolvenzen ebenfalls ansteigen wird.

Die Förderungen, die dem Mittelstand angedient werden, sind doch nichts anderes als künstlich hinausgezögerte Insolvenzanträge. Warum soll ich mir ein Darlehen nehmen, wenn ich morgen die Summe weiter in meinen Büchern mit mir herumtrage. Jeden Tag machen derzeit Unternehmen dicht. Führende Wirtschafts- und Kreditunternehmen sehen eine Welle an Insolvenzen auf uns zu kommen. Es ist die Rede von 50.000 Unternehmen im Einzelhandelsbereich, die betroffen sein werden.

Dramatische Lage ist denkbar

Die Zahlungsmoral habe sich trotz der staatlichen Hilfen massiv verschlechtert. Die Lage wird als viel gefährlicher beschrieben als zur Weltfinanzkrise von 2008. Bereits im September dieses Jahres wird durch das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht mit einer unproportional ansteigenden Anzahl der Unternehmensinsolvenzen zu rechnen sein. Für das kommende Winterhalbjahr wird ein Anstieg um etwa 20 Prozent erwartet. Sogar im Onlinehandel werden bereits jetzt verlagerte Umsätze festgestellt. Während ein Riesenschub im Lebensmittelbereich festgestellt werden kann, stagnieren die Zahlen zum Beispiel im Absatz von Textilien.

Die eigene Branche

Wir reden über die Optimierung der Arbeitsflächen, schauen uns die Abstandsregeln und das Home-Office an. Unsere Lieferanten sagen im Grunde alle das Gleiche und stimmen die Argumentation auf ihre Produkte ab. Nur ein wesentlicher Punkt ist in all den Reden und Einrichtungsvorschlägen nicht zu vernehmen: Wo bleibt eigentlich der Mensch? Wer sagt denn, dass man sich in den sogenannten „New-Work-Gebäuden“ wohlfühlt? Das Büro der Zukunft wird nicht mehr rein statisch sein, sondern ein Höchstmaß an Flexibilität und Anpassung aufweisen müssen. Doch Anpassung an wen oder was? An die Büromöbel- oder Baubranche oder gar an den einzelnen Menschen?

Die Tiefenkrise schüttelt uns gerade mal so richtig durch und die Büromöbelindustrie spricht von zündenden Ideen? Jeder Hersteller stürzt sich gerade auf Mundschutz, Spuckschutz, Akustik, Home-Office und neue Arbeitswelten. Tagtäglich landen Angebote für diese Produkte auf unseren Tischen. Ein Angebot jagt das andere, jedoch wird sich mit der Wirklichkeit allem Anschein nach nicht intensiv beschäftigt. Wenn der Mund-Nasen-Schutz und der Spuckschutz immer günstiger werden, dann habe ich des Pudels Kern nicht verstanden. Die Bänder fast aller Hersteller stehen still, viele schicken ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit und die Lieferzeiten explodieren, allerdings wird fleißig am Mund- und Spuckschutz gearbeitet, statt sich aufs Wesentliche zu konzentrieren.

Wie wollen wir arbeiten?

Es sollte jedem bekannt sein, dass die andauernde Tiefenkrise einen enormen psychosozialen Druck mit sich bringt. Für die Mitarbeiter sind Isolationszustände auf Dauer unerträglich und belasten nicht nur die Leistungsfähigkeit. Wir brauchen einander genauso wie einen Chef, der in der Lage ist, alles Tägliche in den unterschiedlichsten Arbeitssituationen im Gleichgewicht zu halten. Eine schöne Büroeinrichtung wird in diesen Fällen nicht ausreichend sein, ebenso wenig ein salonfähig gemachtes Home-Office.

„Remote Work“ ist hier ein Schlagwort, das gern genannt wird. Also ein Arbeiten in der Ferne, fernab vom Unternehmen und den Kollegen. Der fehlende soziale Austausch, fehlende Räumlichkeiten und rechtliche Voraussetzungen werden dazu beitragen, dass das Home-Office nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Kreative Arbeitsumgebungen werden gefordert sein, in denen der Mitarbeiter sich trotzdem zu Hause fühlt und ein Austausch im Team möglich ist. Eben eine Kombination aus dem gewohnten Unternehmen und einer Art Coworking-Space – aber eben moderner und effektiver. Der Vorteil für jedes Unternehmen liegt hier deutlich auf der Hand. Von steuerlichen Aspekten mal abgesehen, sparen Unternehmen auch an ganz anderer Stelle: bei der fixen Miete für teure Büroräume. Diese müssen nämlich nur dann belegt und auch bezahlt werden, wenn sie benötigt werden.

Home-Office – Fluch oder Segen?

Nicht jeder Angestellte kommt mit den allgemeinen Bedingungen des Home-Office und der damit verbundenen agilen Führung klar. Allerdings wird die Zukunft genau dies von uns verlangen: flache Hierarchien, agiler Führungsstil und arbeiten im Home-Office, allerdings mit klaren Regeln und Zielen. Nicht erst zum Feierabend geschäftlich aktiv werden, weil man sich vorher mit Haushalt, Kindern und Gartenarbeit beschäftigt hat. Nach sechs Wochen winkt dann nämlich die erste Krankmeldung, denn der Mitarbeiter geht jetzt erst mal ins Burnout, während der Chef schon lange den Kopf unter dem Arm trägt, um weiter sein Unternehmen am Leben zu halten. Genau solchen Belastungen wirkt die zuvor beschriebene Arbeitssituation im Team in einem, nennen wir es mal, Kreativraum entgegen.

Jeder trägt Verantwortung

Mit neuen, modernen Arbeitswelten und Home-Office können die kommenden Herausforderungen allein nicht bewältigt werden. Ich selbst nehme jeden Tag sowohl die Rolle des Mitarbeiters als auch die des Chefs ein und kann die Befindlichkeiten beider Seiten verstehen. Vor Kurzem wurde mir mal gesagt, dass jeder Mitarbeiter auch am Ruin eines Unternehmens schuld sein kann. Harte Worte, aber gerecht.

Nehmen wir mal ein einfaches Beispiel: Vor einigen Wochen wurde ich am Halswirbel operiert. Ein komplizierter und schwerwiegender Eingriff. Man sagte mir, dass es bis zu einem halben Jahr dauern kann, bis meine Schmerzen vergehen. Trotz allem war ich, schon nachdem die Narkose nachließ, für mein Unternehmen da und stand meinen Mitarbeitern zur Verfügung. Andere Unternehmer können das durchaus nachvollziehen. Man riet mir zu einer Anschlussheilbehandlung, doch dies ist schier unmöglich. Da spreche ich vielen Inhabern aus der Seele. Der Kapitän verlässt immer zum Schluss die Brücke.

Wir müssen beginnen, das Thema Führung und Arbeitswelten neu zu denken und zu leben. Ein Apfel, eine Getränke-Flatrate und New Work werden dem System auf Dauer leider nicht gerecht, denn der Mensch erfährt täglich immer mehr Stress. Die Arbeitswelten können noch so bunt und hip sein, ein mental angeschlagener Mensch braucht Räume und soziale Kontakte.

Schöne neue Arbeitswelten

Akustik ist für viele noch nicht verständlich, ein nicht greifbarer Fakt innerhalb des Büroalltages. Es geht immer um eine akustische Berechnung der Räume, um Nachhallzeiten zu reduzieren. Selbst wenn nach den umgesetzten Maßnahmen das Ziel erreicht und ein angenehmes akustisches Klima in den Räumlichkeiten das Ergebnis ist, sollten auch die psychologischen und neurologischen Komponenten erklärt werden können. Als klinische Psychologin kann ich dies genau erklären, sodass es auch von einem Laien verstanden werden kann.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Raum der Stille und in Ihrem rechten Ohr wohnt der Tinnitus. Welche Auswirkungen hat das auf Sie? Der Tinnitus macht Sie wahnsinnig. Es dauert keine Stunde und sie rennen aus dem Raum der Stille davon. Gehen Sie raus in das New-Work-Paradies, hören Sie zwar nur noch bedingt den Tinnitus, aber schnell steigt Ihr Blutdruck in die Höhe, Angst macht sich breit. Sie verlassen nun auch die New-Work-Zone, gehen zum Arzt und bitten um eine Auszeit. Schöne neue Arbeitswelten.

Lösungsorientiert in die Zukunft

Das gleiche Prozedere betrifft auch die Büromöbel an sich: des einen Freud, des anderen Leid. Hauptsache, die Branche boomt und jeder verkauft jede Menge Einrichtung. Was es braucht, ist Schulung am richtigen Ende, um den Bedürfnissen der gebeutelten, arbeitenden Menschheit gerecht zu werden. Auch wir setzen auf neue Arbeitswelten, allerdings erst dann, wenn wir über den Tellerrand hinaus geblickt und den Menschen und dessen Bedürfnisse kennengelernt haben. Wir drücken niemandem unser Produktportfolio aufs Auge. Der Schuss geht früher oder später immer nach hinten los. Unsere Kunden schätzen uns wegen unserer lösungsorientierten, nicht wegen unserer umsatzorientierten Beratung.

Home-Office als Lösung?

Wie kann es also weitergehen, wenn Kurzarbeit und Mindestabstand unser aller Tagesablauf bestimmen? Momentan ist permanenter Sparkurs angesagt, und jeder Unternehmer überlegt, welche Investition wichtig und notwendig ist. Home-Office wird ein Bestandteil unseres Alltages und Lebens werden. Allerdings kann nicht jeder im Home-Office die gleiche Leistung und Konzentration abrufen wie vor Ort im Unternehmen. Mangelnde Eigenmotivation, Disziplin und zu viel Nebenschauplätze in den eigenen vier Wänden machen den Tag mental schwieriger als zuvor am festen Arbeitsplatz. Viele fragen sich: Ist mein Wohnraum überhaupt für den Einsatz als Home-Office geeignet? Das Arbeiten von zu Hause aus ist zwar nicht in der Pandemie erfunden worden. Vertrieb und Führungskräfte sind schon lange in der Lage, dem Ganzen gewachsen zu sein. Was aber ist mit den Mitarbeitern, die es immer gewohnt waren, den Tag im Büro mit den Kollegen zu verbringen und eine klare Arbeitsweise vor Ort vorzufinden? Viele schätzen das Miteinander, die Gespräche oder die gemeinsame Mittagspause. Das alles wird jetzt ersetzt durch Telefonate, E-Mails und Videokonferenzen.

Wie soll es also weitergehen?

Aus der politischen Ecke kommt bereits ein lauter Ruf nach dem „Recht auf Home-Office“. Doch ist das überhaupt umsetzbar? Nach der Finanzierung des Ganzen frage ich erst gar nicht. Denn nach den bestehenden Arbeitsstätten-Richtlinien (ASR) unterliegt ein Home-Office-Arbeitsplatz den gleichen Gesetzgebungen wie der eingerichtete Arbeitsplatz im Büro. Wer übernimmt die hier entstehenden Kosten im Falle einer Gesetzesnovelle? Bleiben die Kosten beim Arbeitgeber hängen? Ganz oder nur prozentual? Muss der Arbeitnehmer selbst in die Tasche greifen? Schließlich besteht er ja auf die Arbeit von zu Hause aus.

Wenn Home-Office im Betrieb eingeführt werden soll, sollten klare Regeln festgelegt werden. Die Einrichtung und die Führung eines Mitarbeiters sind enorm wichtig. Der Mitarbeiter sollte auch weiterhin das Gefühl haben, dass er noch ein Teil des Systems ist und nicht auf dem Abstellgleis steht. Denn schon morgen kann der Ball an die Führung eines Unternehmens zurückgespielt werden, und der Mitarbeiter wird wieder im Büro verlangt. Enge Mitarbeiterstrukturen und ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Selbstdisziplin sind gefordert und sollten gefördert werden.

In einem modernen Unternehmen stehen heute agile Führung und flache Hierarchie ganz hoch im Kurs. Wenn Sie Mitarbeiter ins Home-Office schicken, sollten Sie schon vorher Ihr Personal schulen, damit Ihr Mitarbeiter morgen nicht wegen Burnout ausfällt. Denn wie wir aufgezeigt bekommen, verschiebt sich die Arbeitszeit bis in den späten Abend, weil tagsüber die Nebenschauplätze bedient werden. Diese Belastung ist ein schleichender Prozess. Hinzu kommt, dass das Home-Office meist nur spärlich eingerichtet ist und keinesfalls den ASR entspricht. Von der DSGVO ganz zu schweigen. Der Wechsel zwischen dem Stehen und Sitzen wird dringend empfohlen. Zu Hause hat Ihr Mitarbeiter schon morgen „Rücken“, Sehstörungen oder einen Hörsturz. Prävention ist daher wichtiger denn je, wenn es in Zukunft um die Optimierung der Büroräume geht. Zur Büroraumgestaltung gehört nicht nur die Einrichtung, sondern auch das Licht, der Bodenbelag, die Akustik und eine punktgenaue Bedarfsanalyse auf psychologischem Fundament. Doch vor allem eines: der Mensch.