Human Centric Lighting soll den Biorhythmus des Menschen unterstützen, ihn wacher, gesünder und leistungsfähiger machen. Funktioniert das? Und gibt es unerwünschte Nebenwirkungen? Sebastian Klöß hat nach Antworten gesucht.
Drei Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass Human Centric Lighting (HCL) heute das große Thema in der Bürobeleuchtung ist: ein Gen wurde entdeckt, Augenzellen gefunden und eine neue Lichtquelle marktreif. Zunächst zum Gen. In den frühen 1980er Jahren isolierten die amerikanischen Forscher Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young bei Fruchtfliegen ein Gen, das sie Period nannten. Bis 1994 fanden sie heraus, dass es gemeinsam mit weiteren Uhrengenen (Timeless und Doubletime genannt) den Tag-Nacht-Rhythmus steuert. Auch beim Menschen. Im vergangenen Jahr erhielten sie dafür den Nobelpreis für Medizin.
Licht beeinflusst den Hormonhaushalt
Die zur Synchronisierung unserer inneren Uhr entscheidenden Augenzellen entdeckte eine Forschergruppe um George Brainard im Jahr 2001. Schon davor war bekannt, dass wir in der Netzhaut Stäbchen für das Hell-Dunkel-Sehen und (drei verschiedene) Zapfen für das Farbsehen besitzen. Nun wurde ein Fotorezeptor gefunden, der die Melatoninproduktion im Körper kontrolliert. Fällt Licht auf ihn – besonders solches mit hohem Blauanteil, wie es in der Natur morgens vorkommt –, sinkt der Melatoninspiegel im Körper. Da das Hormon Melatonin die Körperfunktionen herunterfährt, wird der Mensch bei sinkendem Melatoninspiegel wach. Licht mit mehr Rotanteilen wirkt hingegen wenig anregend auf den Fotorezeptor. Die Folge: Die Melatoninproduktion wird nicht mehr gehemmt, der Mensch müde.
LEDs wurden serienreif
Bei der neuen Lichtquelle handelt es sich um die LED. LEDs an sich gibt es bereits seit den frühen 1960er Jahren, sie strahlten damals jedoch nur rot-gelbes Licht ab. In den 1970ern kam grünes dazu. Kurzwelliges blaues Licht, mit dem auch weiße Lichtquellen möglich wurden, konnten LEDs erstmals 1988 und mit einer anderen Technik 1992 erzeugen. Für diesen Schritt hin zur heutigen LED-Beleuchtung erhielten die Forscher Isamu Akasaki, Hiroshi Amano und Shuji Nakamura 2014 den Physiknobelpreis. Heutige RGB-LED-Leuchten können damit das komplette sichtbare Farbspektrum abdecken, solche mit Tunable-White-Technik weißes Licht von Warmweiß (unter 3.300 K) bis Kaltweiß (über 5.300 K). Erst damit wurde eine dynamische Beleuchtung überhaupt realisierbar.
Licht, das den Körper durcheinander bringt
Zurück zum Menschen: Unsere innere Uhr, die den Tag-Nacht-Rhythmus steuert, geht nicht genau im 24-Stunden-Takt, im Durchschnitt sind es 24,2 Stunden. Ohne ständige Synchronisation über das Licht würde sie aus dem Takt geraten. Früher kein Problem: Wer seine Tage draußen verbringt, bekommt genügend und vor allem das richtige Licht ab: morgens mit mehr Blauanteil, gegen Abend immer röter werdend. Im Büro hingegen erhalten wir tendenziell zu wenig Licht – oder sogar das falsche. Bis in den Abend hinein arbeiten wir unter kühlem Licht vor Monitoren, die LED-Licht mit hohem Blauanteil abstrahlen, abends schauen wir zu Hause aufs Smartphone (blaues LED-Licht). Unser Melatoninspiegel wird dadurch bis in die Nacht tiefgehalten, die Folge können Schlafprobleme sein.
Hier setzt das Human Centric Lighting an. Eine solche Beleuchtung bildet im Büro den natürlichen Lichtverlauf nach, spendet morgens also kaltweißes helles Licht, ab nachmittags zunehmend neutrales, weniger helles, abends schließlich warmes mit wenig Helligkeit. Die Büroarbeiter sollen dadurch fitter sein, tags aufmerksamer, nachts ohne Schlafprobleme. Das Wohlbefinden soll steigen, die Leistungsfähigkeit ebenfalls. Die große Frage ist: Funktioniert das? Einige Studien sind dieser Frage in letzter Zeit nachgegangen.
Studien zur Wirkung von Human Centric Lighting
Der Schlafforscher Dieter Kunz setzte im Auftrag des Herstellers Durable Probanden verschiedener Beleuchtung aus: einen Teil einer herkömmlichen konstanten, einen Teil einer dynamischen. Wie und ob das Licht biologisch auf die Studienteilnehmer wirkte, wurde über den Melatoningehalt im Speichel gemessen. Das Resultat: Die Melatoninproduktion wurde bei der Beleuchtung mit 6.000 K und 3.800 K gedrosselt, der Mensch also tendenziell wacher. Bei wärmeren Lichtfarben war keine Veränderung messbar.
Eine positive Wirkung von Human Centric Lighting auf den menschlichen Biorhythmus zeigte auch eine Studie von Glamox und der Technischen Universität Eindhoven. Büromitarbeiter, die unter dynamischer Beleuchtung arbeiteten, schliefen durchschnittlich 26 Minuten länger. Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit oder die Leistung konnten hingegen nicht nachgewiesen werden.
Weniger Stress
Gemeinsam mit der Gruppe Nymphenburg Consult hat der Leuchtenhersteller Zumtobel Testpersonen in zwei Büroräumen arbeiten lassen. Der eine wurde von einer herkömmlichen Bürobeleuchtung mit konstant 4.000 K und 500 Lux beleuchtet. Im anderen kam eine dynamische Beleuchtung zum Einsatz, die variierend 3.000 bis 6.000 K bei 800 Lux aufwies. Unter dem Einfluss des bioadaptiven Lichtsystems zeigte sich eine Spannungsreduktion von 3,2 Prozent, die Fähigkeit, mit Stress umzugehen, verbesserte sich um 15,2 Prozent. Wurden die Probanden einer stressenden Situation ausgesetzt, war bei der bioadaptiven Beleuchtung die Anspannung um 6,5 Prozent geringer und die Stressbewältigung um 5,9 Prozent höher. Außerdem konnten sie sich besser konzentrieren. Insgesamt führte die neue Beleuchtung zu einem ausgeglicheneren emotionalen Zustand und größerem Wohlbefinden. Ein Effekt auf die Reaktionszeit oder auf die Antwortgenauigkeit ließ sich hingegen nicht nachweisen.
In puncto Antwortgenauigkeit lieferte eine Untersuchung von Osram, der Universität Twente, der Freien Universität Amsterdam und dem Immobilienberater CBRE Niederlande andere Ergebnisse. Über sieben Monate hinweg wurden in einem Büro die Effekte eines Lichtsystems untersucht, das im Tagesverlauf sowohl die Lichtfarbe als auch die Lichtintensität änderte. Die Studienteilnehmer, die unter solchem Licht arbeiteten, empfanden ihre Arbeitsleistung um 18 Prozent besser, 71 Prozent fühlten sich energievoller, 76 Prozent glücklicher und 50 Prozent gesünder. Anders als die Studien von Zumtobel und Glamox zeigte diese Untersuchung eine Steigerung der Genauigkeit um zwölf Prozent.
Hilfe oder Doping?
Noch ist die Studienlage dazu, wie genau eine dynamische Bürobeleuchtung sich auf die Büroarbeit auswirkt, etwas unklar. Auch darüber, was die Bürobeleuchtung eigentlich machen soll und darf, wird debattiert. Soll sie den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen unterstützen? Oder ist es auch OK zu versuchen, mit Licht gezielt die Leistungsfähigkeit zu steigern, etwa indem natürliche Aufmerksamkeitstiefs verhindert werden?
Studien haben gezeigt, dass eine zweistündige Exposition mit 6.500 K einen ähnlichen Effekt auf die Daueraufmerksamkeit hervorruft wie die Koffeineinnahme bei koffeinempfindlichen Personen. Doch während jeder selbst seinen Koffeinkonsum kontrollieren kann, könnte der Arbeitgeber über eine zentral gesteuerte Beleuchtung versuchen, seine Mitarbeiter zu manipulieren. Oft wird das daher als Lichtdoping bezeichnet – und kann langfristig negative Effekte haben.
Die Risiken von Human Centric Lighting
Ein Automobilhersteller beispielsweise ließ seine Nachtschicht durchgehend unter 5.000 K arbeiten. Die Produktivität stieg dadurch um 15 Prozent. Nach ein paar Wochen nahm jedoch der Krankenstand zu. Der Biorhythmus der Mitarbeiter war durcheinander geraten, Schlaf unmöglich. Schon 2015 gab daher die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) ein Positionspapier heraus, in dem sie auf die Problematik von biologisch wirksamer Beleuchtung hinwies. Zumindest dann, wenn sie falsch eingesetzt oder falsch bedient wird. Oder wenn ihre automatische Steuerung fehlerhaft ist.
Licht kann somit bedeutend mehr, als nur hell zu machen. Aktuelle Untersuchungen legen nahe, dass eine dynamische HCL-Beleuchtung, die sich am Tageslichtverlauf orientiert, den Tag-Nacht-Rhythmus des Menschen positiv unterstützen und das Wohlbefinden steigern kann. Inwiefern sich mit der Beleuchtung gezielt die Leistung steigern lässt und ob dies ethisch überhaupt vertretbar ist, darüber wird derzeit noch diskutiert.