Die Industrie in Deutschland steht unter Druck. Das hat direkte Auswirkungen auf den Handel. Wir sprachen mit Christian Haeser, Geschäftsführer Handelsverband Wohnen und Büro e.V. (HWB), über die aktuelle Lage in der Bürowirtschaft, Forderungen des Handelsverbands an die Politik und vieles mehr.

OFFICE DEALZZ: Herr Haeser, wie beurteilen Sie die aktuelle gesamtwirtschaftliche Situation in Deutschland?
Christian Haeser: Die Wirtschaft steht unter massivem Druck. Steigende Energie- und Rohstoffkosten, Lieferkettenprobleme und eine hohe Inflation machen vielen Betrieben das Leben schwer. Zwar steht ein Sparvolumen der Endverbraucher von rund 200 Milliarden Euro bereit, aber das allein reicht nicht – entscheidend ist, dass das Vertrauen zurückkehrt. Und das sieht man bereits im Konsumverhalten: Viele Kunden kaufen seit Monaten zurückhaltender. Für uns als HBS ist klar: Wenn die Industrie schwächelt, trifft das direkt den Handel und damit am Ende auch den Endverbraucher.
Was fordern Sie von der Politik?
Erstens: Inflationssenkung. Zweitens: verlässliche Rahmenbedingungen für Unternehmen. Die Insolvenzwelle zeigt, wie fragil manche Firmen inzwischen dastehen. Drittens: Investitionen, zum Beispiel im Wohnungsbau, denn das kurbelt Nachfrage und Beschäftigung an. Und viertens: langfristige Planungssicherheit in Schlüsselbereichen wie Energie, Steuern und Regulierung.
Wie ist die Situation in der Bürowirtschaft – also bei Büroeinrichtung, Bürotechnik und Bürobedarf?
Hier ist die Lage sehr uneinheitlich. Einige Anbieter stehen kurz vor dem Aus, andere konsolidieren sich. Der stationäre Fachhandel bekommt zusätzlichen Druck durch Onlineplattformen mit Niedrigpreisen, die oft nicht nachhaltig sind. Plattformen wie Temu verschärfen den Wettbewerb zusätzlich. Sie locken mit Billigangeboten, die aber weder nachhaltig sind noch langfristig Qualität sichern. Hier braucht es ein klares Bewusstsein bei den Kunden. Der niedrigste Preis hat seinen Preis, und zwar in Form von Ressourcenverbrauch, schlechter Qualität und fehlender Verlässlichkeit. Die Herausforderung: Für viele kleine Händler wird das Alleinsein zunehmend schwierig. Kooperationen oder Spezialisierungen sind oft die einzigen Überlebensstrategien.
Und wie lautet Ihre Prognose für die kommenden Jahre?
Die Zahlen des IFH Köln zeigen es deutlich: Der stationäre Handel steht weiter unter Druck, während gleichzeitig der Onlinehandel weiter wächst. Aber es gibt Lichtblicke: Fachhändler, die auf Beratung, Service und Nähe zum Kunden setzen, können sich behaupten. Das bedeutet: Wer eine klare Positionierung hat und Mehrwert bietet, bleibt im Spiel. Wir erwarten, dass die Konsolidierung in der Branche weitergeht. Nur wer Kooperationen eingeht und sein Geschäftsmodell anpasst, wird langfristig bestehen.
Sie besuchen viele Messen. Welche Stimmung nehmen Sie wahr?
Die Messen sind kleiner und selektiver geworden, viele Unternehmen reduzieren ihre Ausstellerpräsenz. Grundsätzlich gilt aus meiner Sicht: Wo gutes Publikum kommt und Kontakte möglich sind, laufen Order und Gespräche gut. Ein Beispiel: Auf der „Maison et Objet“ in Paris war das Interesse stark – deutsche Hersteller berichteten von guten Abschlüssen. Das zeigt: Messen haben ihre Relevanz nicht verloren, ganz im Gegenteil – gerade in schwierigen Phasen.
Was raten Sie Unternehmen der Bürowirtschaft?
Handel und Industrie müssen enger zusammenarbeiten. Nicht nur als Lieferant und Abnehmer, sondern als strategische Partner. Der Onlinekanal kann informieren, aber das haptische Erlebnis, der persönliche Kontakt, das Vertrauen – das bleibt Aufgabe des Fachhandels. Auch der Endkunde muss bewusster entscheiden: Wer nur auf Billigpreise achtet, verschärft den Druck und unterstützt Geschäftsmodelle, die oft weder nachhaltig noch zukunftsfähig sind. Und, sehr wichtig: Bereitet euch auf Regulierung vor. Recht auf Reparatur, digitaler Produktpass, Kreislaufwirtschaft – das sind keine Zukunftsthemen, sondern werden bald Pflicht.
Die EU-Entwaldungsverordnung EUDR wird wohl erneut verschoben. Erfolg für die Branche oder Niederlage für die Umwelt?
Für uns ist das weder Triumph noch Niederlage. Die Idee dahinter ist sinnvoll, doch in der Umsetzung bräuchte es praktikablere, realistische Vorgaben. Wir brauchen eine „Null-Risiko-Klassifizierung“, damit gerade dort, wo kein Risiko vorliegt, bürokratische Entlastung in Gänze entfällt. Darüber hinaus bedarf es einer verlässlichen und funktionierenden IT-Infrastruktur, damit Unternehmen ihren Pflichten nachkommen können. Unternehmen haben kein Interesse an zeitlichen Aussetzungen per se, sondern an Inhalten, die funktionieren.
Apropos Umwelt: Was bedeutet der geplante Circular Economy Act für die Bürobranche?
Der Circular Economy Act, geplant mit Start im vierten Quartal 2026, wird vieles verändern: mehr Recycling, bessere Rücknahmesysteme, transparente Materialketten, Reparaturfähigkeit und Modularität. Produkte müssen so gebaut sein, dass sie mehrfach genutzt, repariert oder recycelt werden können. Der digitale Produktpass wird zeigen, wer seine Materialien offenlegt und nachhaltige Wege geht. Für Firmen, die jetzt schon umdenken und in kreislauffähige Konzepte investieren, bietet sich ein klarer Wettbewerbsvorteil. Wichtig bleibt: Die Vorgaben müssen machbar sein – wir müssen sie jetzt mitgestalten, nicht nur abwarten.
Vielen Dank, Herr Haeser.
Die Fragen stellten Robert Nehring und Gerrit Krämer.