Im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl hat der Handelsverband Wohnen und Büro e.V. (HWB) die größten Parteien um deren Meinung zur Corona-Pandemie und zu geplanten Maßnahmen für den stationären Einzelhandel gebeten. Hier sind die Antworten der Partei Die Linke.
HWB: Der stationäre Non-Food-Einzelhandel leidet unter der Corona-Pandemie. Welche Hoffnungen und Ausblicke wollen Sie unseren Händlern hierzu mitteilen?
Die Linke: Angesichts der bisherigen, insgesamt sehr positiven Erfahrungen mit Corona-Impfungen gehen wir davon aus, dass die Pandemie bald der Vergangenheit angehören wird. Deshalb ist die Hoffnung berechtigt, dass der Einzelhandel wieder normal funktionieren wird. Viele Einzelhändler werden vermutlich von einem nachholenden Konsum-Effekt profitieren. Wichtig bleibt selbstverständlich, dass breite Schichten der Bevölkerung gute Einkommensperspektiven haben. Auf die „Pandemie-Schulden“ der öffentlichen Hand mit einem „harter Spar-Kurs“ zu reagieren, wäre deshalb völlig falsch und nicht im Interesse des Einzelhandels.
Der Einzelhandel ist kein Hotspot des Corona-Virus. Wie kann eine dauerhafte Öffnung der Geschäfte möglich sein, wenn wir noch länger mit dem Virus leben müssen (Stichwort: Öffnungsperspektive)?
Aus der Pandemie müssen die richtigen Lehren gezogen werden. Zu diesem Zweck sollten die weltweit gesammelten Erfahrungen mit Anpassungs- und Öffnungsstrategien systematisch ausgewertet werden. Leider hat die bisherige Bundesregierung auf solche Untersuchungen weitgehend verzichtet und sich auf Mutmaßungen verlassen. Sollte es künftig Infektionswellen geben, ist eine dauerhafte Öffnung von Geschäften denkbar, wenn bewährte Maßnahmen (strenge Hygieneregeln, sehr schnelle Impfung, massenhafte Schnelltests, funktionierende Warn-App) zügig und konsequent eingesetzt werden.
Finanzielle Hilfen sind ein Teil der Corona-Strategie der Bundesregierung. Hier gab es einige Probleme bei der Umsetzung/Antragsstellung. Was raten Sie unseren Mitgliedern, um an eine umfassende und schnelle finanzielle Hilfe zu gelangen? Wie können beispielsweise Abschlagszahlungen schneller ausgezahlt werden?
Die Linke hat im Bundestag die Bundesregierung immer wieder ermahnt, ihre Hilfsprogramme vorab von Praxisvertretern auf ihre Tauglichkeit und Angemessenheit prüfen zu lassen. Leider haben Union und SPD darauf weitgehend verzichtet. Deshalb ist es seit der ersten Corona-Soforthilfe immer wieder zu schwerwiegenden Regelungslücken und handwerklichen Fehlern gekommen. Die Abschlagzahlungen hätten sehr viel schneller erfolgen können, wenn die Bundesregierung – wie von der Linken vorgeschlagen – die Finanzämter zur Prüfung von Unternehmensidentitäten, Steuernummern und Umsatzsteuernummern einbezogen hätte.
Wenn der Non-Food-Einzelhandel noch länger geschlossen bleibt, werden auch die Innenstädte einem „Stillegungsprozess“ unterworfen. Wie können wir langfristig attraktive Innenstädte erhalten und gestalten, ohne dass viele Einzelhändler der Insolvenzgefahr ausgesetzt sind?
Wenn sich nach Corona nur noch Ketten und Filialen in den Stadtzentren die Miete leisten können, läuft etwas falsch. Dann veröden immer mehr Innenstädte zu herzlosen Konsummeilen. Das ist das Ergebnis von Spekulation und verfehlter Stadtentwicklungspolitik. Deutschland braucht – heute mehr denn je – ein soziales Gewerbemietrecht. Der Bund muss dafür sorgen, dass Länder und Kommunen rechtssicher Mietendeckel für Kleingewerbe, Handwerk, kulturelle Einrichtungen sowie für soziale und gemeinnützige Träger einführen können. Der Kündigungsschutz für Gewerbemietverträge muss grundlegend geändert werden. Es braucht öffentliche Gewerberaumanbieter zur Sicherung gemeinnütziger Mieter und Mieterinnen.
Die generelle Befristung von Gewerbemietverträgen wollen wir abschaffen. Die Kündigung durch die Vermieterseite wollen wir rechtlich einschränken. Zudem fordern wir ein ausgeweitetes und preislimitiertes Vorkaufsrecht für die Kommunen und, ja, auch Geld, damit die Kommunen leer stehende Ladenlokale erwerben und sozial vermieten können. Nicht zuletzt sollten die großen Profiteure der Pandemie wie etwa Amazon endlich umfassend besteuert werden. Wir wollen für die Kommunen Investitionsmittel zur Verfügung stellen, damit in attraktive Innenstädte, in bezahlbare und saubere Mobilität, in Kultur und in den ökologischen Umbau investiert wird. So können wir einen Kahlschlag als Folge des Lockdowns verhindern – und zugleich die Weichen für die Zukunft stellen.
Der Einzelhandel ist von Service-, Beratungsleistungen und dem Einkaufserlebnis vor Ort geprägt. Der Online-Handel kann diese Leistungen nur zum Teil bieten. Was raten Sie einem stationären Händler, wie er sich für das Jahr 2030 unternehmerisch aufstellen soll?
Viele Einzelhändler werden sich wohl darauf einstellen müssen, ihre Produkte sowohl stationär als auch online anzubieten. Aufgabe der Politik sind faire Wettbewerbsbedingungen und die Wahrung der Rechtsgleichheit von kleinen und großen Unternehmen, von internationalen Filialisten und regionalen Anbietern. Große Handelskonzerne mit einseitiger Marktmacht und vor allem Plattformen sind deutlich schärfer zu kontrollieren als bisher. Das Wettbewerbsrecht muss dringend und umfassend an veränderte Bedingungen des Onlinehandels und an das Auftreten von Digitalkonzernen und „Datenkraken“ angepasst werden. Aus sozialen und ökologischen Gründen ist es darüber hinaus dringend nötig, den Zustelldienst zu regulieren. Vor allem „auf der letzten Meile“ sollte es gemeinsame Angebote verschiedener Zusteller geben – mit vernünftig bezahlten Jobs und mit sauberen Fahrzeugen. Ein „Recht“ auf stetiges Wachstum des Logistikverkehrs bei gleichzeitiger Abwälzung aller Folgekosten auf die Allgemeinheit gibt es für uns nicht. Hinzu kommt: Wenn sich alle für einen flächendeckenden Tarifvertrag für die gesamte Branche stark machen würden, könnten die Online-Händler nicht mehr von den niedrigeren Löhnen im Logistik-Bereich profitieren.