Christian Bernhardt ist Hochschuldozent, Autor und zertifizierter Trainer. Seine Kunden kommen aus Konzernen und dem Mittelstand in Deutschland und der Schweiz. Im fünften Teil seiner Kolumne beschreibt er die essenzielle Rolle der Achtsamkeit bei der langfristigen Kundenbindung.
Im vorangegangenen Artikel haben wir den Einfluss von Vertrauen auf den Erfolg im Verkauf untersucht und verschiedene nonverbale Möglichkeiten gefunden, die den Vertrauensaufbau unterstützen. Als kurzfristige Maßnahmen helfen die beschriebenen Techniken sicherlich. Um Kunden aber nachhaltig zu binden und eine tiefere Vertrauensbeziehung aufzubauen, sollte etwas tiefer angesetzt werden. Hierzu bietet Achtsamkeit eine wirksame und wissenschaftlich belegte Möglichkeit mit vielen Vorteilen.
Achtsamkeit als Vorstufe zu Wertschätzung und Vertrauen
Der Psychiater und Bestsellerautor Prof. Dr. Reinhard Haller beschreibt, wie Vertrauen das Ergebnis einer sechsstufigen Entwicklungskaskade bildet. Die Entwicklung lautet: Aufmerksamkeit -> Achtsamkeit -> Respekt -> Anerkennung -> Wertschätzung -> Vertrauen. Damit eine höhere Stufe erreicht werden kann, müssen zunächst die unteren Ebenen bis zu einem gewissen Grad gesättigt und erfüllt werden. Daraus folgt: Je tiefer die Stufe, auf der ein Defizit besteht, desto kritischer ist dieses für das Gesamtergebnis. Und umgekehrt: Wenn wir von unten beginnend nach und nach alle kritischen Engpässe beseitigen, erhalten wir auf der obersten Stufe schließlich das bestmögliche Ergebnis. Wenn wir uns an Hallers Modell orientieren, dann fällt auf, dass Achtsamkeit der am wenigsten erwartete Begriff der Reihe ist und gleichzeitig sehr früh auf den Prozess einwirkt. Von daher birgt gerade die Achtsamkeit erhebliches Verbesserungspotenzial mit einem starken Hebel.
Vorteile und Eigenschaften von Achtsamkeit
Hunderte Wirkungsstudien belegen die Vorteile von Achtsamkeit. Sie reduziert Stress, Anspannung und Fehler, erhöht die Kreativität und verbessert unsere exekutiven Fähigkeiten sowie unsere Produktivität. Im zwischenmenschlichen Kontakt ermöglicht sie uns, automatisierte Kommunikationsmuster zu verlassen und wirklich frei zu entscheiden, in welche Richtung wir ein Gespräch lenken wollen. Oft wissen wir zwar aus der Theorie, was in einer bestimmten Situation das optimale Verhalten wäre, scheitern aber in der Praxis. Eine erhöhte Achtsamkeit hilft, im entscheidenden Augenblick bewusst zu bleiben, um alte Gewohnheiten zu überwinden und neue, förderlichere einzuführen. Das merkt auch der Kunde. Wenn seine Aussagen, Wünsche und Bedenken wirklich aufgenommen und reflektiert werden, und der Verkäufer nicht einfach nur die gewohnten Routinen abspult, dann stärkt das die Beziehung und das Vertrauen.
Achtsamkeit und Mikro-Expressionen
Mikro-Expressionen sind Gesichtsausdrücke, die nur für den Bruchteil einer Sekunde auftreten und dem Sender selbst nicht bewusst sind. Damit eröffnen sie einen ehrlichen Einblick in das Emotionsleben unserer Mitmenschen. Ungeschulte Beobachter können sie nicht erkennen. Geschulte Beobachter sehen hingegen, wenn sich im Gesicht des Gesprächspartners Ekel, Verachtung, Wut, Angst und andere Primäremotionen zeigen. Ein Grund, warum zum Beispiel amerikanische Sicherheitskräfte in dieser Disziplin trainiert werden, aber auch Pokerprofis sich diese Kompetenz aneignen.
Mikro-Expressionen helfen natürlich auch im Kundenkontakt: Wenn bei der Einwandbehandlung eine kurz aufblitzende Emotion erkannt wird, kann das dahinterliegende Thema wesentlich effektiver und effizienter behoben werden. Was für ein Zusammenhang besteht nun zwischen Mikro-Expressionen und Achtsamkeit? Studien von Paul Ekman, der seit Jahrzehnten weltweit führenden Koryphäe auf dem Gebiet der Mikro-Expressionen, belegen, dass nicht nur geschulte Menschen Mikro-Expressionen besser erkennen, sondern auch Menschen, die durch Meditation ihre Achtsamkeit erhöht hatten. Zusätzlich erhöht eine verbesserte Achtsamkeit auch die Wahrnehmung anderer nonverbaler Signale, die wir sonst oftmals übersehen.
Achtsamkeit entwickeln
Die Achtsamkeit zu erhöhen ist natürlich leichter gefordert und gesagt als getan, denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Forscher haben herausgefunden, dass circa 40–50 Prozent unseres täglichen Handelns aus Gewohnheiten bestehen, die wir quasi automatisch abspulen. Und das nicht ohne Grund: Unser Gehirn ist zwar der größte Energieverbraucher in unserem Organismus, gleichzeitig aber ständig darauf bedacht, Energie zu sparen – und das geht am besten, wenn Routinen gebildet werden, die man automatisch ablaufen lassen kann. Jeder, der sich an seine ersten Fahrstunden im Auto erinnert und nun mühelos von A nach B fährt, profitiert von dieser Vorgehensweise unseres Gehirns.
Von daher mag es zu Beginn nicht leichtfallen, aber unser Gehirn ist wie ein Muskel: Die ersten Trainings mögen noch unangenehm sein, aber nach und nach entwickeln sich die neurobiologischen Strukturen, und die Erfolge stellen sich ein. Wege und Übungsmöglichkeiten, um die Achtsamkeit zu erhöhen, gibt es Dutzende. Ich persönlich habe gute Erfahrungen damit gemacht, beim Meditieren aufkommende Gefühle, Eindrücke, Gedanken und Glaubenssätze kurz innerlich zu verbalisieren und damit die sonst automatisch ablaufenden Prozesse ins Bewusstsein zu heben.
Christian Bernhardt,
Autor, zertifizierter Trainer und Hochschuldozent für nonverbale Kommunikation und Kommunikationspsychologie. |