Seit fast 20 Jahren berät Ralf R. Strupat Unternehmen und Führungskräfte. Gelebte Begeisterung umzusetzen ist sein Schwerpunkt – ganzheitlich, praxis- und lebensnah. Der fünfte Teil seiner Kolumne rückt den Spagat zwischen Familie und Beruf in den Fokus.
Viele Menschen, die ich in meiner täglichen Arbeit als Coach begleite, haben den Anspruch, dass es in der Familie rund laufen soll und auch im Job wollen sie beste Ergebnisse erzielen. Das ist absolut legitim. Einen hohen Anspruch zu haben, finde ich als Ansporn genau richtig. So ist es zum Beispiel gut, sich im Verkauf hohe Ziele zu setzen. Das Ziel, die Kunden zu begeistern, ist ein Anspruch, den wir in unseren Kunden in der täglichen Arbeit vermitteln. Deshalb sollten wir vom eigenen Anspruch auch nicht abrücken. Stattdessen sollten wir reflektieren, was uns wirklich, wirklich wichtig ist und was notwendig ist.
Die Frage nach der Perfektion
Wir können uns folgende Fragen stellen: Was bedeutet Perfektion schon? Was bedeutet sie für uns selbst? Und sollten wir einen Anspruch auf Perfektion haben? Und welche Dinge sind mir wirklich wichtig? Oft sind wir so in unseren Alltagstrott und unsere Routinen eingebunden, dass wir, ohne zu reflektieren, zu agieren, immer weiter arbeiten. Wenn unreflektierte Ansprüche dann nicht erfüllt werden, sind wir leicht verärgert und frustriert. Es sind erlernte und verfestigte Handlungen aufgrund von Glaubenssätzen, die wir tagtäglich unbewusst überprüfen und bewerten. Stimmt die Realität dann nicht mit unseren Erwartungen überein, kommt Frust auf.
Die eigenen Ansprüche hinterfragen
Wichtig ist es deshalb, diese erlernten Ansprüche aufzudecken und zu hinterfragen. Dafür noch einmal hilfreiche Reflexionsfragen für Privates: Was ist mir und was ist uns als Familie wichtig? Wo und wie setzen wir Prioritäten? Was bedeutet geteilte Zeit für uns? Die meisten Menschen teilen ihre Zeit in Arbeits- und Lebenszeit (Work-Life-Balance). Wir hingegen postulieren reine Lebenszeit. Zu dieser Thematik haben wir neulich übrigens eine Podcast-Folge veröffentlicht: ein differenzierter Blick auf das Thema Work-Life-Balance.
Hier kurz für Sie erklärt, warum wir nur von „Life-Balance“ sprechen: Auch wenn Sie arbeiten, leben Sie aktiv. Wenn Sie dieses Mindset haben, wird Ihre Arbeitszeit zu einer wertvollen Zeit, die für Sie sinnstiftend ist. Und Herausforderungen im Job sehen Sie als Chance zur beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung an. Damit das gelingt, ist es wichtig, dass Sie Situationen generell möglichst nüchtern beobachten, anstatt voreilig zu bewerten.
Wertvolle Zeit zu Hause nutzen
Auch zu Hause gibt es „den normalen Wahnsinn“ – und auch hier ist es entscheidend, wie wir damit umgehen. Rege ich mich bei Kleinigkeiten auf oder gehe ich gelassen damit um? Sehe ich eher die negativen Ereignisse und gebe ihnen Platz? Oder schenke ich positiven Momenten Raum und Zeit? Viele Menschen beklagen, dass sie neben dem Beruf zu wenig Zeit für Familie und Freunde haben. Das mag in manchen Fällen durchaus zutreffen. Entscheidend ist oft jedoch die Frage, wie wir die wertvolle Zeit mit unseren Liebsten nutzen. Dazu jetzt noch ein paar Impulse von mir.
Oft ist die Herausforderung groß, wenn die Kinder noch klein sind und uns als Eltern stärker brauchen und involvieren. Die Zeit vergeht so schnell. Genießen Sie die Momente anstatt der fehlenden Zeit nachzutrauern.
Machen sie die vermeintlich rein quantitativ geringe Zeit zu intensiv gelebter qualitativer Zeit. Nutzen Sie die Zeit, die sie gemeinsam haben, sinnstiftend. Sie können zusammen am Küchentisch zu Abend essen ohne Handy und Co., Brettspiele spielen oder Geschichten lesen, anstatt Alexa den Ton zu überlassen.
Und wenn Sie als Familie Zeit haben, verplanen Sie diese nicht gleich bis ins letzte Detail. Oft haben wir auch hier den Anspruch: Wir „müssen“ doch was Großartiges am Wochenende unternehmen. Wer sagt das? Wer fordert es ein? Oft machen wir uns selbst den Druck.
Überraschende Antwort der Kinder
Fragen Sie doch mal Ihre Kinder bewusst: Was möchtest Du denn machen? Vielleicht werden Sie – genau wie ich es einst war – überrascht sein, wenn die Antwort lautet: „Einfach mal nichts.“ Und glauben Sie mir, dieses „Nichts tun“ will wieder neu gelernt werden …
Ralf Strupat, Unternehmensberater, Coach. |